Grundlage dieses Artikels ist ein Interview Tedescos mit spielverlagerung.de und ein Bericht von 11Freunde über seine erste Bundesliga-Saison bei Schalke.
Tedesco beschreibt im Gespräch mit Michiel de Hoog, dass er bei seinen Spielern mehrfach denselben Fehler beobachten konnte. In Pressingsituationen liefen sie ihre Gegner an, stellten sie, anstatt durchzulaufen und in den Zweikampf zu gehen. Dem Gegenspieler bleibt somit mehr Zeit für die Entscheidungsfindung, was nach Tedescos Ansicht vermieden werden sollte. Soweit der taktische Hintergrund. Interessant ist der Umgang mit diesem Fehlverhalten:
Tedesco dazu:
„Wir trainieren viel Vorwärtsverteidigen. Man kann das ja schon beim Handball-Kopfball machen. Wenn sie das normal spielen, dann bleiben die Verteidiger vor dem Ballführenden stehen und wedeln mit den Armen. Wie beim Basketball. Jetzt spielen sie es mit der Regel: Wenn ich den Ballführenden berühre, erhalte ich den Ball. Dann laufen die Spieler durch.“
Mit dieser kleinen Veränderung muss Tedesco somit nicht in die Rolle des Kritikers schlüpfen und das gewünschte Verhalten einfordern. Stattdessen passt er seine Fußballtrainingsübung so an, dass das von ihm gewünschte Verhalten („durchlaufen“) mit einem Ballgewinn belohnt wird. Die Spieler lernen nebenbei (implizit) und unabsichtlich (inzidentell), ohne das sich mit der Zeit abnutzende, monotone Coaching des Fußballtrainers. Es wird für Spieler und Trainer ein angenehmeres Umfeld und positives Lernklima geschaffen. Der Fußballtrainer kann sein Trainingsziel durchsetzen und gleichzeitig bleibt der Spaß am Spiel im Mittelpunkt. Dabei nehmen die Spieler die Lernsituation oft nicht als solche wahr.
Dies spiegelt sich auch in der Zusammenarbeit im Fußballtraining wieder. Spieler und Trainer begegnen sich auf Augenhöhe. Beschrieben wird im folgenden Beispiel das Anlaufen des Außenverteidigers durch den Achter:
Tedesco sagt:
“Gehen wir zurück zu Ihrem Beispiel: Sie sind jetzt mein Achter. Immer, wenn der Ball zum Außenverteidiger geht, soll der Achter rauskommen. Ich kann jetzt sagen: Das ist mein Matchplan, fertig. Aber jetzt gehen wir ins Training und ich merke: Beim ersten Mal machen Sie es, beim zweiten Mal auch, beim dritten Mal schnaufen Sie und beim vierten Mal haben sie keinen Bock mehr.”
Dieses taktische Vorgehen ist jedoch nur für ältere Jugendmannschaften relevant. Werfen daher wir lieber einen Blick auf die didaktische Lösung des Problems:
Spielverlagerung:
“Nicht aus Ermüdung.”
Tedesco:
“Nein, einfach weil Sie keine Lust darauf haben. Aber wenn ich sage, wir gehen am Samstag so ins Spiel, dann weiß ich doch nach 20 Minuten: Nein, das wird so nicht funktionieren. Das sehe ich ja schon im Training.”
Spielverlagerung:
“Da gibt es Trainer, die es genau andersrum sehen würden. Die würden sagen, der Spieler muss sich überwinden.”
Tedesco:
“Wenn ich das sehe, frage ich den Achter: ‘Was ist das Problem?’ ‘Trainer, die Wege sind zu weit!’ Und jetzt sind wir in Diskussionen! Jetzt kann ich sagen: ‘Okay, dann steh doch von Anfang an breiter.’ Dann versucht er es zweimal und sagt: ‘Trainer, das ergibt keinen Sinn.’ Dann frage ich wieder: ‘Wo ist das Problem? Vielleicht kann der Stürmer dir helfen, dann musst du nicht jedes dritte Mal raus, sondern jedes fünfte Mal.’ Und so versuchen wir, eine gemeinsame Idee zu entwickeln. Das ist entscheidend. Denn wenn der Spieler im Training ‘Ja!’ sagt, dann muss es auch im Spiel ‘Ja!’ sein.”
Anstatt die unliebsame Aufgabe einfach vorzugeben, erarbeitet Tedesco die Lösung gemeinsam mit den betroffenen Spielern. Daraus ergeben sich schließlich übergeordnete Spielprinzipien. Mehr zum Thema Prinzipientraining im Jugendfußball könnt ihr hier erfahren.
Das dargestellte Beispiel ist natürlich nicht 1 zu 1 auf den Kinder- und Jugendfußball anzuwenden. Jedoch die Idee seine Spieler ins Coaching auf individual- und gruppentaktischer Ebene miteinzubeziehen. Zur Folge hat dies nicht nur die angeführte Identifikation mit der Lösung. Zum einen erhöht es die Bereitschaft sich mit Lösungen geistig auseinanderzusetzen und nicht einfach nur das von Oben diktierte aufzusaugen. Dies ist die Grundlage für einen nachhaltigen Lernprozess. Zum anderen wird die Selbstwirksamkeitserwartung der Kinder gesteigert. Gibt man den Spielern das Gefühl die Lösungen selbst entdeckt zu haben, wird das Vertrauen in die eigene Kompetenzen erhöht. Die Kinder werden mutiger beim Umsetzen ihrer Ideen.
Oft beobachten wir in Spielformen, dass Kinder im 2-gegen-1 anstatt “breit zu bleiben”, den Weg Richtung Tor suchen (siehe Abbildung 1).
Die Abbildung zeigt: Spieler 2 muss durch den Deckungsschatten laufen und steht anschließend mit dem Rücken zum Tor.
Wenn ich die Idee des Spielers ernst nehme und sie mit ihm einmal durchspiele, erfährt er einerseits was an seiner Lösung problematisch ist und andererseits wie er die Situation zu seinen Gunsten bewältigen kann. Der Fußballtrainer kann als Unterstützer agieren und muss nicht maßregeln, wie man sich richtig zu verhalten hat. Außerdem erhält der Spieler die Gelegenheit und Zeit sich mit der Spielsituation auseinanderzusetzen.
Im folgenden Video könnt ihr sehen, wie das Coaching beispielhaft aussehen kann:
Die Zeitschrift 11Freunde beschreibt Tedescos Art der Teamführung und fasst noch einmal treffend zusammen:
„Menschenkenntnis und Didaktik sind ganz wichtig für Tedesco. Sein System soll den Akteuren dienen, nicht umgekehrt. Und er will deshalb loben, auch wenn er kritisiert. Die Mannschaft spielt nicht zu oft Foul, sie ist ‚zu hungrig nach Bällen‘. Lösungen erarbeitet das gesamte Team. ‚Wenn die Spieler beteiligt sind, glauben sie an den Plan‘, sagt er.“
Tedesco zeigt wie wichtig implizites Fußballtraining und das gemeinsame Erarbeiten von Inhalten ist. Freudvolles Lernen in einer angenehmen Atmosphäre ist im Profifußballbereich hilfreich - in unseren Augen bei der Arbeit mit Heranwachsenden essentiell. Gebt den Kindern in ihrer Freizeit nicht das Gefühl in der Schule zu sein, denn wir alle wissen wie langweilig Frontalunterricht sein kann.
QUELLEN