Das Ringen um Talente im Fußball verändert selten den Umgang mit den SpielerInnen. Das Umfeld im Verein wird durchoptimiert: Die besten Videoanalysemethoden, perfekt gepflegte Trainingsplätze und das modernste Trainingstool sollen den Verein im Wettbewerb um Talente attraktiver machen. Diese Wohlfühlatmosphäre kann durch Personen im Umfeld der Spieler*innen verstärkt werden. Probleme außerhalb des Fußballs werden aus dem Weg geräumt, dass sich die Talente ganz auf den Sport konzentrieren können. Das sind zwei Aspekte, denen eigentlich ein positiver Hintergedanke zugrunde liegt. Über das Spannungsfeld “Wohlfühlatmosphäre - Talentförderung” und warum Tuchel von Jugendtrainern fordert: “Bereitet den Talenten Schwierigkeiten.”
Jeder kennt den Begriff “Talent”. Doch was darunter verstanden wird, da gehen die Meinungen und Interpretationen oft weit auseinander. In der Sportwissenschaft wird der Begriff so definiert:
"Ein Talent eine Person, die sich noch in der Entwicklung zur individuellen Höchstleistung befindet und von der man begründbar annimmt, dass sie Spitzenleistungen in ihrer Domäne erreichen kann." Nach Güllich et al., 2013
Das heißt vereinfacht und bezogen auf den Fußball: Als Talent bezeichnet man JugendspielerInnen, die das Potential haben, Profi zu werden. Diese Entwicklung zum Profisportler muss realistisch und belegbar sein. Welche Faktoren lassen uns nun "begründbar" annehmen, dass Spieler X ein Spitzenleister wird? Diese Fähigkeiten, Eigenschaften oder Fertigkeiten sind Talentkriterien. Die Faktoren können entweder im Sportler selbst oder in seinem Umfeld liegen. Ein Talentkriterium, dem Experten in letzter Zeit viel Beachtung schenkten, ist die Widerstandsfähigkeit. Interessant hierbei: Die Wechselwirkung zwischen Person und Umwelt scheint eine große Rolle zu spielen. Im Interview bei Aspire4Sport erzählt Chelsea-Trainer Thomas Tuchel, was er aus der Zeit als Jugend- und Cheftrainer (Mainz 05, VfB Stuttgart, Borussia Dortmund, PSG) gelernt hat und wie sich seine Sicht auf das Umfeld von Jugendmannschaften geändert hat.
Wie soll das Umfeld im Nachwuchsleistungszentrum aussehen? Die besten Leistungstests, perfekte Trainingsbedingungen und mehr Analyseverfahren. Oder?
Die Gefahr im modernen Nachwuchsleistungszentrum
Prof. Dr. Martin Lames ist Sportwissenschaftler an der TU München. In unserem Jugendfußball-Podcast beschreibt er, warum die "Widerstandsfähigkeit" für Talente so relevant ist.
Die Aussagen Lames' legen die Frage nahe: Ist den SpielerInnen geholfen, wenn man ihnen alles abnimmt und ein "Verwöhnklima" herrscht? Wie das Zustandekommen eines Verwöhnklimas zu erklären ist:
Vereine wollen die Attraktivität des eigenen Angebots wahren. Der modernste Komplex, die vermeintlich neuesten Methoden & bekannte Namen sollen die Anziehungskraft des eigenen Nachwuchsleistungszentrums sicherstellen. Fehlende Kritik und das Erzeugen einer Wohlfühl-Atmosphäre sollen den Verbleib sichern. "Wir dürfen ihnen nicht wie derzeit meist in den Nachwuchsleistungszentren alles abnehmen.", forderte Horst Hrubesch in der FAZ. Eine "Erziehung zur Unselbstständigkeit" ist nicht nur mit Blick auf Tuchels Aussagen kritisch zu beurteilen. Auch die Wahrscheinlichkeit Profi zu werden - Recherchen der ARD schätzen sie auf etwa 3% - machen die Problematik deutlich. Diese Zahl gilt für U19-Spieler. Die Wahrscheinlichkeit ist so gering, dass man mit Vorsicht und Verantwortung in der Talentförderung arbeiten muss. Doch nicht nur Vereine müssen sich hinterfragen. Spielerberater können ebenso ein Klima erzeugen, das für die Entwicklung der Jugendlichen hinderlich sein kann. Blauäugige Versprechungen, fehlende kritische Reflexion oder Vereinswechsel beim ersten kleinen Hindernis erzeugen keine Atmosphäre in der Durchsetzungsvermögen im überdurchschnittlichen Maße erforderlich ist. Das erhöht, laut Hrubesch, die Verantwortung seitens der Vereine:
"Ich sehe ein Problem, dass heute schon 14 Jahre alte Jungs einen Berater haben. Umso mehr müssen die Vereine Wert drauf legen, dass die Spieler zu normalen Menschen erzogen werden, dass sie selbständig sind, eigenverantwortlich handeln und nicht fremdbestimmt durch den Berater."
Die "Rage to Perform", also die "Begierde Leistung zu bringen", ist das, was auf sportlicher Seite bei den Spielern erzeugt werden muss. Dafür muss im Kinderfußball die Basis geschaffen werden. Der belgische Trainerausbilder van der Haegen beschreibt diesen Schritt: „Make your player love the game.“ Also: Wecke bei deinen Spieler*innen Begeisterung für den Fußball! Diese positive Einstellung zum Fußball, sieht er als Basis für die spätere sportliche Entwicklung. Spieler müssen Fußball lieben und leben. Erst dann entwickeln sie den Wunsch sich dort zu verbessern. Wie das gelingt: Für nachhaltige Veränderungen muss dies intrinsisch beim Spieler ausgelöst werden (intrisisch = von innen her kommend). Als TrainerIn schaffe ich hierfür den richtigen Rahmen in Training und Wettkampf: Ein positiv aktivierendes Lernklima. Für van der Haegen ist ein zentraler Schritt: Gib den SpielerInnen im Training das, was sie wollen! Erhöhe die Spielzeit oder kreiere spielnahe Situationen und packe diese in geeignete Spielformen. Im besten Fall entsteht neben der Begeisterung für den Fußballsport eine Bindung zum Verein. Engagieren sich Menschen ehrenamtlich im Verein, wenn sie dort kaum Spaß hatten? Kann das die Qualität im deutschen Nachwuchsfußball erhöhen und den Mitgliederschwund im Jugendfußball senken?
"Erfolg ist kein Zufall. Es ist harte Arbeit, Ausdauer, Lernen, Studieren, Aufopferung, jedoch vor allem, Liebe zu dem, was du tust oder dabei bist zu lernen." - Pelé
Den ganzen Podcast mit Prof. Martin Lames gibt's hier: https://youtu.be/QaJHHKvhKjQ
Was ist überhaupt ein Talent: https://www.advance.football/jugendfussball-blog/ein-talent-im-fussball-was-ist-das-eigentlich