Karriere-Sprungbrett U23

Karriere-Sprungbrett U23 - über die Relevanz dieser Ausbildungsstufe by Denkfabrik Nachwuchsfußball

Entwicklung ist nicht linear und ganz gewiss auch nicht mit 19 Jahren nach der A-Jugend abgeschlossen. Das lässt sich nicht nur im Fußball beobachten, sondern auch in vielen anderen Sportarten. Lasst uns kurz über den großen Teich springen und dir die Talentförderung im amerikanischen Basketball skizzieren. In den USA findet der Nachwuchssport im Übergang zum professionellen Sport nicht in Vereinen, sondern an Schulen (High Schools) und Universitäten (Colleges) statt. Vor einer jeden Saison können insgesamt 60 Talente den Weg in die Basketball-Profiliga (NBA) über den sogenannten „Draft“ finden. Zu diesem Draft dürfen sich nur Spieler anmelden, die im Jahr der Selektion mindestens 19 Jahre alt werden und seit einem Jahr ihren High School-Abschluss in der Tasche haben. Das bedeutet, dass die Spieler in der Regel wenigstens für ein Jahr ein College besuchen müssen, bevor sie die Möglichkeit erhalten, in der NBA zu spielen. Aus verschiedensten Gründen wird diese One-and-Done-Regel immer wieder kontrovers diskutiert. Der Hauptgrund, der gegen eine Abschaffung dieser Regel spricht ist die Entwicklungszeit, die den Talenten im College zur Verfügung gestellt wird. Das College ist quasi anzusehen als das Äquivalent unserer U23 im deutschen Fußballkontext. Auch hier gibt es natürlich Beispiele, die den Sprung in die Liga direkt nach der High School hätten packen können. Unsere Moukokos und Havertz’; heißen dort halt Kevin Durant oder Zion Williamson. Aber genauso wie bei uns im Fußball, bewerben sich die meisten Spieler erst nach zwei bis vier College-Jahren für die NBA. Von den 540 Spielern, die im Zeitraum von 2010 bis 2018 gedraftet wurden, waren nur 106 Spieler „One-and-Done-Spieler“. Nach Abzug der europäischen Prospects und anderer Karrierewege kommt man auf ca. zwei Drittel aller ausgewählten Spieler, die die Übergangsstufe College für mehrere Jahre vor Eintritt in die NBA nahmen [119]. Darunter spätere MVP’s (Most Valuable Players) wie Stephen Curry, der drei Jahre am College spielte, James Harden und Russell Westbrook (beide zwei College-Jahre). Selbst nachdem Talente das schulpflichtige Alter verlassen haben, ist eine Prognose der zukünftigen Karrierechancen alles andere als gesichert. Umso wichtiger ist es, den Spielern Zeit und Spielpraxis zu ermöglichen. Das ist eine Charakteristik dieses Alters, nicht irgendeiner speziellen Spielsportart.

Abb. 1: Einsatzverteilung der U23-Spieler in der Bundesliga Quelle der Grafik: sportschau.de (Bark, 2020, „Probleme im Nachwuchsfußball - deutlich weniger Spielanteile“)

Was für den Basketball gilt, gilt ebenso für den Fußball. Die Möglichkeit zur Abschaffung und der damit einhergehende Wertverlust der U23-Mannschaften in vielen Profivereinen war aus Talentförderungssicht ein großer Fehler! Dieser Fehler lässt sich durch weitere Zahlen belegen. Wie Sie in Abbildung 1 sehen können, sind die Einsatzzeiten deutscher U23-Spieler in der Bundesliga immer stärker rückläufig. Während im Jahr 2010 der Anteil der Einsätze jener Spieler von den Gesamteinsätzen noch bei 21% lag, waren es zehn Jahre später nur noch 6%. Derweil stieg die Quote der ausländischen U23-Spieler von 8% auf 14% an [120]. Gewiss kann man diese Entwicklung nicht allein dem abgeschwächten Umgang der Vereine mit ihrer U23 zuschreiben, sonst bestünde dieses Buch ja auch nur aus diesem verhältnismäßig kurzen Exkurs. Der Weg für den Großteil der Talente, der noch nicht nach der U19 bereit für den Lizenzfußball ist, hat sich aber in den letzten Jahren als immer umständlicher gestaltet. Einige der Vereine, die ihre zweite Mannschaft abgemeldet haben, streben Leihmodelle für ihre Übergangsspieler an, um ihnen mehr Spielpraxis zu geben. So landen die Akademiespieler mit dem größten Potenzial nach der U19 in höherklassigen Amateurvereinen, in denen sie vielleicht auch Spielzeit in der Regionalliga erhalten, nur lässt die Professionalität dieser Teams oftmals zu wünschen übrig und die Spieler verschwinden vom Radar ihrer Heimatvereine. Die Mentoren und Förderer dieser Spieler im Heimatverein haben nämlich keinen Einfluss mehr. Im Grunde genommen haben die Profivereine mit diesem Modell nur ihre Kosten outgesourct. Andere Vereine wiederum behalten ihre verheißungsvollsten Talente nach der U19 in ihrer Lizenzmannschaft, in der sie aber einzig und allein den Trainingskader aufblähen, weil sie keine wirkliche Option für die Pflichtspiele sind. Diese Spieler, die sich aufgrund eigener Beratungsresistenz manchmal auch gar nicht verleihen lassen wollen, gehören zum Teil über zwei Jahre zum Kader der Lizenzmannschaft, absolvieren in dem Zeitraum aber - wenn es hoch kommt - zehn Freundschaftsspiele. Ihnen geht wertvolle Wettkampfzeit in einer so elementar wichtigen Phase verloren, sodass sie von den anderen, regelmäßig zum Einsatz kommenden Spielern überholt und abgehängt werden.

Weitere Argumente für das professionelle (Re-)Installieren einer U23 als höchste Ausbildungsstufe, die bisher noch gar keine Erwähnung gefunden haben, beziehen sich auf die positiven Auswirkungen für die Trainer einer Akademie sowie für die Spieler der Lizenzmannschaft. Akademietrainer können auf ihrem Weg in den Profifußball Erfahrungen als U23-Trainer im Männerfußball sammeln und somit bereits in enger Verzahnung mit dem Profibereich zusammenarbeiten. Diese Mannschaft ist demnach nicht nur als Entwicklungsmannschaft für die Spieler, sondern auch für Trainer zu sehen. Sie gehen ihre ersten Schritte im Männerfußball, fernab der medialen Aufmerksamkeit und arbeiten in dieser Zeit schon mit Jungprofis aus der Lizenzmannschaft, die in der U23 Spielpraxis erhalten sollen, zum Beispiel nach einer Verletzung. Damit sind wir schon wieder am springenden Punkt in der Diskussion über Sinn und Unsinn einer zweiten Mannschaft angekommen: der Spielzeit. In Spanien haben manche Vereine für diesen Altersbereich inzwischen sogar eine zusätzliche Mannschaft aufgemacht, um der Fülle an Spielern, die den Schritt zum Fußballprofi mit guter Förderung (und Glück) noch gehen können, gerecht zu werden. Auch bei uns muss in dieser Hinsicht ein Umdenken stattfinden! Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir die U23 wieder interessanter machen können? Sowohl für die Vereine als auch für die Spieler. Es ist kein Zeichen von mangelndem Talent, wenn ein Spieler nach der U19 noch nicht bereit ist für die Bundesliga. Wie bereits dargelegt, benötigen einige einfach noch ein paar Jahre im Übergangsbereich, bis sie ihren Leistungshöhepunkt erreichen.

Welche drei Kriterien für eine optimale Talentförderung im Übergangsbereich erfüllt sein müssen und wie man es besser machen kann, könnt ihr im Kapitel „Nach Talentidentifikation kommt Talentförderung“ nachlesen. (Titel des Buches: Denkfabrik Nachwuchsfußball – Wie können wir es besser machen?) Vorbestellen unter: https://schaumamoi-verlag.de/produkt/denkfabrik-nachwuchsfussball/


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