Wie erkennt man die, die Profi werden?

Wie erkennt man die, die Profi werden? - Der Sprung ins NLZ | Leseprobe aus ‘Der große Traum’

Marius‘ Vater fragte sich im Winter 2008, ob es auch Allergien gegen Wiener Würstel gab. Dann war er nämlich gerade dabei, eine zu entwickeln. Er konnte keine Wiener mehr sehen! Aber er aß schon wieder ein Paar. Es gab nichts anderes bei den Hallenturnieren, bei denen Marius mit der U13-Mannschaft des 1. FC Nürnberg Wochenende für Wochenende startete.

Fußball hatte Martin Wolf immer begeistert. Seinen eigenen Sohn so fein Fußball spielen zu sehen war noch einmal eine unerwartete Steigerung. Zu sehen, wie Kinder etwas außergewöhnlich beherrschten, zu sehen, wie das eigene Kind etwas unheimlich gut konnte, war gigantisch. Opa Rolf gelingt es am besten, das Gefühl in Worte zu fassen: »Dein Körper spielt immer mit. Wenn du Marius spielen siehst, spürst du das im ganzen Körper.« Mit ihrem Talent hatten Marius, Foti und Niko in ihren Heimatvereinen anstrengungslos, wie gottgegeben herausgeragt. Das erste Spiel im Nachwuchsleistungszentrum war daraufhin ein Schock, sagt Nikos Mutter, Elke Reislöhner. »Die sind hier ja alle mehr oder weniger genauso gut!«, ging ihr auf. »Da brauchte ich schon einen Moment, um mich daran zu gewöhnen.«

In dem Augenblick, als Nikos Mutter erstmals die vielen Begabungen in einer einzigen Akademiemannschaft sah, offenbarte sich die große Frage der modernen Talentsuche. Wie erkennt man die, die Profi werden?

»Bei 14-Jährigen und Jüngeren kannst du das in der Regel gar nicht erkennen«, sagt Wolfgang Schellenberg. Er trainierte 2010 beim 1. FC Nürnberg die U15 mit Marius. Der größte Anhaltspunkt bei der Sichtung eines Talents war dessen Ballspiel. In welcher Schnelligkeit konnte ein Kind sauber die Grundtechniken am Ball ausführen, stoppen, passen, dribbeln, flanken, schießen. Jeder kennt aus seiner Kindheit den einen Jungen im örtlichen Amateurfußballclub, der pro Spiel vier oder mehr Tore schoss. Oft kamen diese vermeintlich herausragenden Kinder für die Profiakademien jedoch nicht infrage. Denn sie erzielten ihre Tore vielleicht mehr mit Kraft als mit verschiedenen Schusstechniken, bei ihren Dribblings waren sie schnell, konnten den Ball allerdings nicht eng am Fuß führen. Das Spiel aber würde mit jeder Altersstufe und jeder Leistungsklasse schneller werden. Wer in den technischen Bewegungsabläufen nicht brillant war, würde irgendwann vom Tempo überfordert werden.

Alle Kinder in den Akademiemannschaften brachten motorisch beim Ballspiel enorme Anlagen mit, deswegen waren sie ausgewählt worden. Doch um ein Profifußballer zu werden, waren zudem so viele andere Talente nötig, Spielintelligenz, Geschwindigkeit, Athletik, Durchsetzungsvermögen, mentale Wettkampfhärte, Lernfähigkeit und einiges mehr. Diese Komponenten würden sich, anders als die Grundtechniken, erst in den Jahren zwischen 14 und 21 entwickeln. Das hieß, man nahm ein Kind wegen seines Potenzials in ein Nachwuchsleistungszentrum auf und hatte wenig Ahnung, was herauskam. Welcher Junge würde sich in den nächsten fünf Jahren wie stark weiterentwickeln, wer würde stagnieren? Und wer würde, nachdem er einmal stagnierte, plötzlich einen Riesensprung machen? Das war die reine Ungewissheit.

Sie waren selbst schuld, dass niemand mehr die potenziellen Profis unter den 14-Jährigen in einer Akademiemannschaft eindeutig identifizieren konnte, ging es Wolfgang Schellenberg auf. Sie hatten das Training und Scouting in den Nachwuchsleistungszentren so sehr verbessert, dass der Abstand zwischen den herausragenden und den sehr guten Talenten geschmolzen war. Es gab nun eine Masse Talente, die alle irgendetwas Besonderes hatten. »Ich weiß noch, wie ich 20 Jahre zuvor als junger Mann aus Burghausen nach München kam und zum ersten Mal ein E-Jugendspiel des FC Bayern sah«, erzählt Schellenberg: »Da waren zwei Zehnjährige, Thomas Hitzlsperger und Daniel Jungwirth, da dachte ich: Boah, wenn ich solche Spieler einmal trainieren könnte! Solche Talente hatte ich in Burghausen noch nie gesehen, das war eine andere Welt. Aus heutiger Sicht muss ich sagen: Die stachen natürlich auch deshalb so heraus, weil das allgemeine Trainingsniveau noch viel niedriger war, Talent allein also viel mehr den Unterschied machte.«

Hintergrundinfos zum Buchprojekt “Der große Traum” gibt es im SPIELTRIEB-Interview mit dem Autor Ronald Reng. Zu unserem Jugendfußball-Podcast! In „der große Traum“ begleitete er drei junge Fußballtalente & ihre Familien über 9 Jahre hinweg. Dies erlaubt dem Leser einen ungeschönten Blick in das Leben eines Fußballers im Nachwuchsleistungszentrum und nimmt ihn mit auf die Achterbahnfahrt, die der Weg in den „Profifußball“ bedeutet.

Das Buch kannst du hier bestellen: Zum Buch

Von uns gibt’s vor allem für Fußballeltern, Spieler und Trainer eine absolute Leseempfehlung!

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