Der Straßenfußball(er)

Wenn es dem Spiel an Kreativität fehlt, wird ein bestimmter Spielertyp händeringend gesucht. Der Ruf nach dieser Art von Fußballern ist besonders laut, wenn der Mangel an originellen Lösungen in der Nationalmannschaft auftritt. Diese steht auch immer sinnbildlich für den Fussball einer ganzen Nation und somit auch für Ausbildung der jungen Fußballer in einem Land. Der Spielertyp, um den es sich handelt, ist der Straßenfußballer. Er wird häufig mit Kreativität aber auch mit Spielfreude und einer außergewöhnlichen Ballbeherrschung verbunden. Mit diesen Eigenschaften geht eine Spielweise einher, welche für Vereine und Nationen einen enormen Mehrwert liefert – daher kommt auch die regelmäßige Forderung nach mehr Spielern, die das Fußballspielen auf der Straße gelernt haben.

Der Unterschied zwischen dem Vereins- und Straßenfußball

Diese Forderung verdeutlicht, dass der Straßenfußballer mit einem bestimmten Mehrwert verbunden ist - einen Mehrwert, der durch die Ausbildung im Vereinsfußball (noch) nicht ausreichend generiert wird. Demnach muss der Straßenfußball entscheidende Vorteile gegenüber dem aktuellen Vereinsfußball mitbringen. Um diese Vorteile des Straßenfußballs verstehen zu können, möchten wir den Fussball abseits der Vereine genauer unter die Lupe nehmen. Dabei werfen wir zunächst ein Blick auf die Merkmale des Straßenfußballs. Anschließend werden wir, mit Hilfe der “Straßenfußballhypothese”, die Effekte des Spielens auf dem Bolzplatz beleuchten.

Charakteristiken des Straßenfußballs

Es gibt keine Einteilung nach Altersklassen - es wird gegen die Kinder gespielt, die auf dem Platz sind. Dabei ist es ganz egal ob die Anderen 2 Köpfe kleiner oder 4 Jahre älter sind. Speziell die Jüngeren werden von den Spielen auf dem Bolzplatz sehr stark profitieren, da alles mit Technik gelöst werden muss, um die physischen Nachteile auszugleichen. Die Älteren lernen Verantwortung zu übernehmen.

Es gibt keinen Trainer - dadurch haben die Spieler nahezu maximalen Freiraum aber auch keinen Unterstützer. Folglich müssen die Spieler ihre Lösungen immer selbst finden und das getreu dem Motto: “trial & error”

Es wird auf ganz unterschiedlichen Plätzen gespielt - Im Vereinsfussball wird oftmals auf perfekten Rasen und mit den immer gleichen Toren gespielt. Der Straßenfussball sieht anders aus - speziell, wenn es heißt, heute spielen wir hier und morgen dort. Das bedeutet mal Kunstrasen, mal Sand, mal Beton, mal große Tore, mal keine Tore, mal mit Bande, mal ohne Bande. Die Spieler müssen sich immer wieder an sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen anpassen.

Es gibt keinen Schiedsrichter - die Spieler müssen sich auf Regeln verständigen und selbstständig durchsetzen.

Die Straßenfußballhypothese

Die Straßenfussballhypothese (*) befasst sich vor allem mit den Trainingseffekten des Straßenfußballs. Zusammengefasst lässt sich die Hypothese auf 2 wesentliche Annahmen herunterbrechen:

1.) Ein freies, unangeleitetes Spielen führt zur Verbesserung der technischen und taktischen Leistungsvoraussetzung. Die Spieler verbessern sich demnach intuitiv und beiläufig. Straßenfußballer können auf Betonböden beispielsweise nicht grätschen. Daher entwickeln die Spieler andere Lösungen für die Zweikampfführung, ohne jedoch aktiv darüber nachzudenken  – es ist also kein gezieltes und wissentliches Training notwendig, um eine Fähigkeit zu erwerben.

2.) Ein vielseitiges Spielen führt zu einer besseren Entwicklung des taktischen und technischen Kreativitätspotentials als ein bewusstes und angeleitetes Trainieren.

Diese beiden Annahmen wurde bereits mehrfach durch Studien in der Kreativitätsforschung belegt. Folglich sollte es das Ziel der Vereine, Verbände und Trainer sein, den Straßenfußball zu stärken und diese Erkenntnisse für den Vereinsfußball zu nutzen.

Der Ist-Zustand des Straßenfußballs

Die Ausgangsbedingungen, um die Kinder und Jugendliche wieder auf die Straße zu bringen, sind jedoch nicht besonders gut – der öffentliche Raum wird immer knapper, die Terminkalender der Kinder immer voller und die Angebote an digitalen Medien immer umfangreicher.

Dies hat zur Folge, dass keine Zeit mehr für den Straßenfußball vorhanden ist oder die Kinder andere Freizeitaktivitäten bevorzugen. Eine Entwicklung die Uli Hoeneß bereits vor einem viertel Jahrhundert bemängelte…

”Wir kriegen die jungen Leute, die die Gesellschaft erzeugt – und das sind solche, die nicht wie wir als Buben jeden Tag auf der Schulwiese gespielt haben, bis der Hausmeister uns wegschickte” – Uli Hoeneß, 1995

...und sich auch in einer Studie zum Thema „Das unorganisierte Sporttreiben von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ widerspiegelt.

Laut der Erhebung des KIT nahm die wöchentliche Stundenanzahl für das Sporttreiben imVerein zwar leicht zu, aber das unorganisierte Sporttreiben nahm erheblich ab – und damit auch das freie und intuitive Spielen, welches die gewünschten Straßenfußballer hervorbringt.

Die Erkenntnisse der Straßenfußballhypothese für den Vereinsfußball nutzen

Aktuell steht es also nicht sonderlich gut um den Straßenfußball in Deutschland. Jedoch sollten die Erkenntnisse der Straßenfußballhypothese bestmöglich für den Vereinsfußball genutzt werden – sprich, es sollte ein Vereinstraining angeboten werden, welches den Kindern ein freies und vielseitiges Spielen ermöglicht.

Die Rolle der Jugendtrainer bei der Entwicklung von Straßenfußballern

Um den Kindern ein freies und intuitives Lernen zu ermöglichen, muss auch über die Rolle des Trainers nachgedacht werden. Die Trainer in Europa setzten lange Zeit auf ein monotones Einschleifen und auf sehr konkrete Handlungsanweisungen. Ein Vorgehen, welches der Entwicklung des Spielertyps „Straßenfußballer“ stark im Weg steht und auch der niederländischen Fußballgröße Johan Cruyff negativ auffiel.

”Töter der Kreativität und Improvisation” – Johan Cruyff über das Kinder- und Jugendtraining in europäischen Vereinen

Doch wie können wir Trainer agieren, um die Kreativität unserer Spieler zu fördern, statt zu mindern? Diese Frage möchten wir im nächsten Schritt mit euch beantworten. Wir wollen aber nicht nur auf die Funktion des Trainers im Bezug auf das Thema „Straßenfußball“ eingehen, sondern auch auf die Rolle der Eltern, Verbände und Vereine.

Handlungsoptionen - Wie wir den Straßenfußball(er) auf den Platz bekommen?

Anreize für das Spielen von Straßenfußball schaffen – Hier liefert ein Verein einer anderen Sportart ein gutes Beispiel. Alba Berlin hat ein Spielabzeichen für sportliche Leistungen für junge Basketballer entwickelt. Um die Auszeichnung zu erlangen, muss natürlich erstmal geübt werden. Folglich wurde ein Anreiz geschaffen, um selbständig auf den Platz zu gehen.

Straßenfußballturniere organisieren – die meisten Kinder lieben den Wettbewerb – und erst recht dann, wenn sie sich nach ihren eigenen Vorstellungen messen können.

Öffentlichen Raum schützen – Öffentlicher Raum ist immer auch ein Ort der Begegnung verschiedenster Menschen. Ein Ort, der im Idealfall niemanden ausschließt. Dazu zählen auch die Bolzplätze – hier lernen die Spieler nicht nur das Fußballspielen, sondern auch das Interagieren mit Kindern aus ganz unterschiedlichen Kulturen, Schichten und Altersklassen. Es sollte sich dafür eingesetzt werden, solch wertvollen Raum zu schützen.

Kreative Übungen für kreative Spieler - Wenn die Kinder immer weniger auf den Bolzplatz gehen, muss das im Verein kompensiert werden. Alles, was die Jungs im Straßenfußball lernten und auch schätzten, muss nun ins Vereinstraining integriert werden - das geht vor allem mit Übungen, in denen Freiheiten, spielerisches Entdecken und Spielfreude im Vordergrund stehen. Passende Übungen und Tipps für effizienteres Training findest du hier: https://training.advance.football/

Die Trainerrolle – Ein Trainer sollte seinen Spieler ideale Rahmenbedingungen schaffen, um sich weiterzuentwickeln – auch im Sinne eines Straßenfußballers. Dabei kommt es nicht nur auf die Übungsauswahl, sondern auch auf das Coaching an. Anstatt auf sehr explizite Instruktionen, sollte wir lieber auf ein implizites Coaching setzen - eines, dass die Spieler unterstützt aber nicht in eine Form presst.

Freies Spielen im Verein – Vereinsfußball muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass ausschließlich unter der Leitung eines Trainers trainiert wird. Auch auf Vereinsebene kann das freie Spielen eine sinnvolle Option sein. Den Spielern kann zusätzlich ein Nachmittag pro Woche angeboten werden, an dem sie den Trainingsplatz ganz nach ihren Vorstellungen nutzen. Wie auf dem Bolzplatz: Selbstorganisiert mit mehreren Jahrgänge zocken.

*Roth, K., & Konzag, G. (1997). Vom Strassenfussballer zum Spielmacher - Zur Effektivität inzidenteller taktischer Regellernprozesse.

Autor: Luis Österlein

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