Der Relative Age Effect ist ein omnipräsentes Thema im Jugendfußball. Einige Artikel befassten sich in den letzten Jahren mit diesem „Gespenst“ (Lames et al., 2008) im Nachwuchsleistungssport. Auch wir befassten uns umfangreich mit diesem Effekt und was dahintersteckt (RAE - Teil 1 und RAE - Teil 2).
Doch wie lässt sich diese Umverteilung vermeiden? Das und warum der Relative Age Effect nur eins von vielen Symptomen für ineffiziente Nachwuchsförderung sein kann, erfahrt ihr hier.
Die Bekämpfung des Systemfehlers Relative Age Effect beginnt mit dem umfassenden Verständnis der Thematik. Ein Relative Age Effect (RAE) liegt dann vor, „wenn die Geburtsdaten einer Stichprobe nicht proportional zu den Geburtsdaten des entsprechenden Ausschnitts der Normalbevölkerung verteilt sind“ (Lames et al., 2008, S. 4). Diese oder ähnliche Definitionen kennen die meisten unter Euch. Unabdingbar ist es von den Mechanismen dahinter zu wissen.
„Unser Rekord bisher ist die U10 Mannschaft eines Bundesligisten, in der die Hälfte der Spieler in den ersten sechs Wochen des Jahres geboren wurde, kein einziger Spieler stammt aus der zweiten Jahreshälfte.“
Grundvoraussetzung für eine Umverteilung, wie im Zitat beschrieben, ist eine Selektion (Musch & Grodin, 2001). Warum werden vermehrt früh im Jahr geborene ausgewählt?
Diese beiden Aspekte führen in der Regel zu einer besseren Leistung im Kinder- und Jugendfußball. Problematisch wird die Selektion solcher Spieler meist dann, wenn sich die Unterschiede in der biologischen Reife und der Erfahrung so ausgleichen, dass sie kaum/ nicht mehr ins Gewicht fallen. Oft ist dies nach der Pubertät der Fall. Ist die frühere Leistungsauffälligkeit auf die genannten Faktoren zurückzuführen, folgt dann in der Regel eine Deselektion aus dem Nachwuchsleistungszentrum bzw. der Auswahlmannschaft. Man spricht dann von einem Auswahlfehler.
Ein genauerer Blick auf die beiden zentralen Einflussfaktoren zeigt jedoch, dass die reine Orientierung am Geburtsdatum fehlerbehaftet sein kann, gerade wenn es darum geht nur einzelne Mannschaften oder Spieler zu beurteilen. Ist die Stichprobe derart klein, werden zwei Variablen interessanter, da ihre Aussagekraft deutlich höher ist als das bloße Geburtsdatum.
Ein früh im Jahr geborenes Kind muss nicht zwangsläufig akzeleriert (frühentwickelt) sein oder mehr Erfahrung im Fußball haben auch wenn dies statistisch wahrscheinlich ist. Der Relative Age Effect ist also vielmehr ein „nur“ ein Anzeichen dafür, dass vermehrt körperlich weiterentwickelte Spieler selektiert werden. Das eigentliche Problem, auf welches der RAE und die Untersuchungen dazu hinweist, ist die Selektion körperlicher Frühentwickler. Damit verbunden ist in vielen Fällen eine nicht nachhaltig denkende Nachwuchsförderung.
Geht es darum, wie man dem Relative Age Effect vorbeugen kann, tauchen immer wieder Quoten-Regelungen auf. Hier wird beispielsweise vorgeschrieben, dass 50% der Spieler einer Auswahl in der 2. Jahreshälfte Geburtstag haben. Gegen den RAE schafft das Abhilfe. Werden die Plätze aus der 2. Jahreshälfte nur mit frühreifen Spielern besetzt, wird das Problem lediglich verschoben. Außerdem besteht die Gefahr bei Quoten, dass sich Spieler nur zur Erfüllung ebendieser in den Kadern befinden und demnach wenig Spielpraxis sammeln. Gegenmaßnahmen, die nur die Geburtstage der Athleten berücksichtigen, sind also nicht zwingend zielführend – aber praktisch.
Talententwicklung, die in allen Klassen und Auswahlen umsetzbar ist, setzt der Schweizerische Fußballverband um. Das Projekt FOOTECO hat unter anderem zum Ziel "den Durchbruch der Spätentwickler/Retardierten [zu] fördern". Die Lösung der Schweizer sind Ausnahmeregelungen, die es retardierten Spielern ermöglicht in der nächst jüngeren Mannschaft zu spielen.
Kriterien für die Sondererlaubnis:
(SFV, 2014)
FOOTECO ist außerdem darauf ausgeleEine Lösugt die Talentselektion möglichst spät zu vollziehen und die Spieler lange zu fördern.
Ein kleines Fußballland wie die Schweiz kann es sich kaum leisten, den Talentpool nicht effektiv und effizient auszunutzen. Ähnlich ist die Lage in Belgien. Dort werden Nachwuchsspieler ab den U15-Nationalteams an nicht nach dem Geburtstag, sondern nach dem biologischen Alter eingeteilt (Meuren, 2018). Die Einteilung nach der biologischen Reife erwies sich dort als ein probates Mittel für die Spitzenförderung. In den niedrigeren Leistungsklassen ist dies jedoch nicht alltagstauglich.
Interessanterweise zeigten sich bei der Analyse der drei deutschen U-17 Bundesligen signifikante Zusammenhänge zwischen dem Relative Age Effect und dem Erfolg, gemessen durch den Rang in der Tabelle (Augste & Lames, 2011). Der relevanter Grund für die Selektion körperlich stärkerer Fußballer ist der Erfolg. Das übergeordnete Ziel im Nachwuchsfußball sollte es nicht sein Wettkampferfolge im Jugendbereich zu feiern, sondern die Ausbildung von Spielern (Nachwuchsleistungssport) bzw. möglichst lange Sportbindung im Breitensport.
Hier setzen auch Maßnahmen von Roman et al. (2015) an:
Maßnahmen, egal ob auf Vereins- oder Verbandsebene, funktionieren nur mit einem Umdenken bei allen Parteien im Nachwuchsfußball. Falscher Ehrgeiz bei Trainern, Eltern oder Vereinsverantwortlichen ist schädlich für das System Nachwuchsfußball und kann sich in einem Relative Age Effect manifestieren. Das Ergebnis ist meist kurzfristiger Erfolg statt langfristigem Talentaufbau. Auf der Strecke bleiben körperlich schwächere Spieler. Unzureichende Förderung, frühere Dropout auf Grund fehlender Spielzeit oder geringere Partizipation sind die Folge - im Leistungs- wie im Breitensport.
QUELLEN
Augste, C., Lames, M. (2011). The relative age effect and success in German elite U-17 soccer teams. Journal of Sports Science, 29 (9), 983–987. doi: 10.1080/02640414.2011.574719.
Barnsley, R. H., Thompson, A. H., & Barnsley, P. E. (1985). Hockey success and birthdate: The relative age effect. Journal of the Canadian Association for Health, Physical Education and Recreation, 51, 23-28.
Lames, M., Augste, C., Dreckmann, C., Görsdorf, K., & Schimanski, M. (2008). Der “Relative Age Effect” (RAE): neue Hausaufgaben für den Sport. Leistungssport, 38 (6), 4-9.
Meuren, D. (2018). Die Gnade der frühen Geburt. FAZ. Abgerufen von: https://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/bundesliga/gnade-der-fruehen-geburt-januarkinder-werden-eher-fussballprofi-15775261-p3.html
Musch, J., & Grondin, S. (2001). Unequal competition as an impediment to personal development: A review of the relative age effect in sport. Developmental review, 21 (2), 147-167. doi: 10.1006/drev.2000.0516.
Nolan, J. E., & Howell, G. (2010). Hockey success and birth date: The relative age effect revisited. International Review for the Sociology of Sport, 45 (4), 507-512. doi: 10.1177/1012690210371560.SFV (2014). Abgerufen von: http://www.football.ch/…/med_kom_d_kriterien_biolog_alter_1…)
Romann, M., Javet, M., & Fuchslocher, J. (2015). Relative Age Effect im Kinder-und Juniorenfussball. Magglingen: EHSM.